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Verschwörungstheorien sind meist irrational

Bei Verschwörungstheorien ist die asymmetrische und somit irrationale Gewichtung der Evidenz das bestimmende Prinzip. Philipp Sterzer ergänzt: „Ein weiteres Markenzeichen von Verschwörungstheorien ist, dass ihre Aussagen zwar plausibel erscheinen, tatsächlich aber meist in hohem Maße unwahrscheinlich sind.“ Überzeugungen sind dann epistemisch rational, wenn ihre Aussagen mit hoher Wahrscheinlichkeit wahr sind. Das trifft für die meisten Verschwörungstheorien nicht zu. Typischerweise gehen sie zum Beispiel von einem groß angelegten Komplott in einem weit – möglicherweise sogar weltweit – verzweigten Netz von Verschwörern aus, die über Jahre oder Jahrzehnte ihre dunklen Machenschaften treiben. Dass Verschwörungen über lange Zeit nicht auffliegen, weil alle Eingeweihten über Jahre hinweg an einem Strang ziehen und dichthalten, ist aber extrem unwahrscheinlich. Im Jahr 2011 berief man Philipp Sterzer zum Professor für Psychiatrie und computationale Neurowissenschaften an die Charité in Berlin. 2022 wechselte er an die Universität Basel.

Reiner Zufall und Chaos sind für Menschen schwer zu ertragen

Die meisten realen Verschwörungen, wie zum Beispiel die Watergate-Affäre um den US-amerikanischen Richard Nixon in den 1970er-Jahren, wurden nur von einer kleinen Zahl von Verschwörern begangen und waren von sehr kurzer Dauer. Philipp Sterzer betont: „Groß angelegte und über Jahre dauernde Komplottszenarien, wie sie von vielen Verschwörungsgläubigen angenommen werden, haben mit der Realität echter Verschwörungen nichts zu tun.“

Dass Verschwörungstheorien dennoch vielen Menschen plausibel erscheinen, liegt daran, dass sie Verzerrungen in unserer Wahrnehmung und in unserem Denken ausnutzen. Philipp Sterzer erklärt: „So machen sie sich das menschliche Bedürfnis zunutze, in allen Ereignissen eine Ursache oder sogar eine Intention zu suchen. Reiner Zufall und Chaos sind für uns schwer zu ertragen.“ Deshalb haben Menschen eine starke Neigung dazu, „eins und eins zusammenzuzählen“, die Punkte zu verbinden und sich auf die Dinge einen Reim zu machen.

Epistemisch irrationale Überzeugungen sind eher die Regel als die Ausnahme

Menschen lieben einfache Erklärungen und entdecken Kausalitäten, Muster und sogar Machenschaften ihrer Mitmenschen oder Mächte, wo es eigentlich nichts zu entdecken gibt. Sie verknüpfen benachbarte Punkte, auch wenn sie nur zufällig benachbart sind. Philipp Sterzer fügt hinzu: „Unser Denken ist anfällig für solche kognitiven Verzerrungen und lässt uns oft zu irrationalen Urteilen kommen, die den fruchtbaren Boden bilden, auf dem Verschwörungsideen gedeihen.“

All diese Beispiele irrationaler Überzeugungen zeigen, dass epistemische Irrationalität keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal des Wahns ist, sondern auch bei psychische gesunden Menschen weit verbreitet ist. Philipp Sterzer erläutert: „Ob es sich um Überzeugungen handelt, denen epistemische Rationalität schlicht herzlich egal ist, wie religiöser Glaube oder Aberglaube; oder um solche, die im Gewand der Rationalität daherkommen, im Kern aber doch irrational sind, wie Verschwörungstheorien: Epistemisch irrationale Überzeugungen sind eher die Regel als die Ausnahme.“ Sie sind in den meisten Fällen nicht pathologisch, sondern sie sind einfach ziemlich „normal“. Quelle: „Die Illusion der Vernunft“ von Philipp Sterzer

Von Hans Klumbies

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